Montag, 17. November 2014
Studenten in großer Zahl und wer krempelt morgen die Ärmel auf?
Von der Öffentlichkeit entweder unbemerkt oder vom Fortschrittsglauben stigmatisiert, vollzieht sich im Lande seit Jahren eine Wandlung bei der bildungshungrigen Jugend. Angeblich geht es hin zur „Informationsgesellschaft.
Nun freut es mich, durch die Lektüre von Julian Nida-Rümelin, brandneu: „Der Akademisierungswahn“ mit dem Untertitel „Zur Krise beruflicher und akademischer Bildung“ einen Anstoß erhalten zu haben. (Verlag Koerber-Stiftung –http://koerber-stiftung.de)

Schon nach den ersten Zeilen weiß ein geübter Leser, hier begegnet ihm ein aus der Lehre und – ungewöhnlich - der Politik bekannter Akademiker, der – ungewohnt für Politiker - für eine Idee intellektuell und offen plädiert. Ein Experte, der, von Wahrheitssuche geleitet, im Wissens- und im Wissenschaftsbetrieb eine klare Trennlinie zieht, wo und wann etwas wirklich akademisch ist und wo nicht. Das ist erfrischend.

Aber, wo es Menschen um öffentliche Anerkennung geht, stützt eigengesetzlich jede Kreativität, herrscht Dekorationssucht, oft genug begleitet von Titelinflation. Dann wissen nur noch Eingeweihte von dem z. B. feinen Unterschied zwischen dem Selbstwert eines Professors an der Universität und dem an einer Fachhochschule. Diese Undeutlichkeiten sind im gesellschaftlichen Leben von FH – Professoren gern gesehen, von den echten Akademikern in der Forschung und auf den Lehrstühlen an den Unis zweifellos nicht. Erst das jeweilige Haus der Lehre und der Umfang des „Lehrdeputats“ bringen Differenzen an den Tag.

Heutzutage, sozial erfreulich, denn so weit ist die gesellschaftliche Entwicklung vorgerückt, kann ein angehender Meister genau so „Bafög“ beantragen, wie seinerzeit nur der Abiturient auf dem Weg zu seinen Würden fern von Handwerk und Technik. Damit wurden schon Jahrhunderte alte Mauern dem „Modernitätswahn“ geopfert, sagen die einen... Der Autor spricht jedoch von „Akademisierungswahn“.

Historisch zurück:
Hier eine historisch zu belegende Anekdote aus dem Heilwesen, der Medizin, deren „Medicus“ nicht nur Heilkundiger war, sondern auch Zauberkräfte bändigte, wie die „Spontanheilung“. Bis die Akademisierung von Unerkärlichem nichts mehr wissen wollte, Naturwissenschaftliches einzog und „Diagnosen“ auch für Unbegreifliches herhalten sollten. Beispiel: Allergie als Krankheit, obgleich damit nur eine ungeklärte „Überempfindlichkeit“ beschrieben wird.
Im späten Mittelalter sah ein Teil der ärztlichen Praxis so aus:
Der gebildete Herr Doktor, Lateiner, erkannte ein Krankheitsbild, beschrieb es mit imponierendem BraBra in Latein, riet zu einer Operation, die sein hohes Honorar sicherte, dozierte „salbungsvoll“ in ausreichend räumlichem Schutzabstand, während der operativen Handlung durch den Bader, der allerdings kein Wort des Lateins verstand. Aber, der Herr Doktor heftete sich im Falle des Gelingens der Operation das Stigma des genialen Mediziners an den Frack und der Bader, ein „Hand“ – Werker, bekam seinen Helferlohn (Bader, Nichtakademiker: Chirurg). Gelang die „Op“ aber nicht, was glauben sie, wer dafür die Verantwortung zu tragen hatte. Wen überrascht es: Niemals der dozierende „Akademiker“.

Da genau ist die Nahtstelle zwischen „denen da oben“ (Akademiker) und „denen da unten“ (Nichtakademiker), Brutstelle für die Missachtung des „Handwerks“, welches auch immer es sei. Die Erfindung des Begriffes „Kunsthandwerk“ zeugt von der Hilflosigkeit im Umgang mit Werken, die eingestandenermaßen von keinem (nur) Handwerker zu schaffen waren, der nicht auch zugleich “Kopfwerker“, manche sicher sogar Genies, waren. (Uhrenmacher, berühmte Baumeister, geniale Techniker) . Prof. Peter Sloterdijk spricht von 10.000 Stunden Übung, die ein „Meister“ auf jedem Gebiet braucht.

Eine andere, erhellende Anekdote:
Vor einem Gebirge aus Steinen treffen sie einen beschäftigten Mann. Sie fragen ihn: „Was machen sie denn hier?“ Antwort: „Das sehen sie doch, wir mauern...“
Und wer steht vor ihnen, wenn sie folgende Antwort erhalten: „Wir bauen einen Dom!“?

Bildung, Persönlichkeitsbildung, fördern idealer Weise mehr als die kognitiven Fähigkeiten, sondern vor allem die Vernunftsfähigkeit mit dem Ziel der Stärkung der eigenen Urteilskraft.

Unser formeller Bildungsapparat fördert neuerdings inflationär offensichtlich das akademisierte (bekannte) „Wissen“ und damit die schlau lesenden „Doktoren“. Diese überlassen die produktive Arbeit, die Ausführung des Werkes, die eigentliche Wertschöpfung, den (nichtakademischen) Meistern und Technikern. Ok, wenn die Kopfzahlen in ihren Verhältnissen stimmen.

Eine Wirtschaftsgesellschaft braucht allerdings mehr hoch qualifizierte – um im Bilde zu bleiben - „Bader“ an den Schnittstellen des (dualen) Bildungssystems: Vor allem in jenen Sektoren, die eigentlich Wiederholungen des bekannten, routinierten, Tuns von „gestern“ abbilden. Ist das tatsächlich ein akademisches Wirken?
Beachte: Routine ist der größte Teil dessen, den (auch) die meisten Akademiker gemäß ihrem Anforderungs- und Aufgabenkatalog abliefern, abzuliefern haben!
Ausweg:
Jedes „Neue“ erfordert ein Umdenken; es geht dem Umwerten voraus.
Die wirtschaftlich erfolgreichen Wege sind in den vergangen 150 Jahren selten auf akademischen Geleisen gefunden worden. Es waren fast ausschließlich Fachleute ohne akademischen Background. Sie brachten das Land nach vorne.
Studierende, die mit einem Abschluss in Hierarchien schlüpfen, fördern keine Wirkungseffizienz. Sie verlängern nur den bürokratischen Weg. Wem nützt das?

Sonntag, 16. November 2014
© Karl Wilhelm Goebel

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