Montag, 30. April 2012
In Burgwedel leben Feinschmecker…Aber anno 1811:
Über das Reisen damals, deutsches Söldnerleben und zugleich: Was gemeine Franzosen vor 200 Jahren so aßen und wir Deutschen heute…
Unter meinen alten Buchbeständen fand ich vor einigen Tagen einen dürftigen, postkartengroßen Band mit etwas mehr als 200 Seiten, in welchem vorne ein „Professor Fritz Steinhauer, Berlin 1915“ handschriftlich sein Eigentum (Ex libris) mit Bleistift eingetragen hatte. Titel: „Denkwürdigkeiten aus dem Feldzug in Spanien in den Jahren 1810 u. 1811 mit dem herzoglich sächsischen Kontingent. Von C. Geissler, großherzoglich sächsischer Militärwundarzt“.
Der Autor beschreibt über viele Seiten seine beschwerliche und – wie wir heute meinen - äußerst langsame Vorwärtsbewegung von Weimar bis in den Nordosten von Spanien über einen Zeitraum, den wir uns heute nicht vorstellen können. Gleich zu Beginn bekommt der Leser einen Begriff davon. Der militärisch zum Einsatz in seinem Regiment nach Spanien befohlene Militärwundarzt „verbrauchte“ bereits von Weimar bis nach Frankfurt am Main die Zeit vom 1. August bis zum 7. August und schaffte es bis zum 9. August gerade mal von Frankfurt bis Mainz. Also neun Tage von Weimar bis Mainz…
Unsere heutigen Routenfinder wissen: 300 km Autostrecke, voraussichtliche Fahrtzeit 3 Std. und 29 Minuten… Die Zeitersparnis beträgt heute also 98,38 % oder: heute wird die Strecke 61,7 mal (!) schneller überwunden. Eine Riesendifferenz verglichen mit vor 200 Jahren…
Entgegen der Absicht des Autors dieses Beitrages, die Reisebeschwernisse und vor allem die schrecklichen kriegerischen Bedingungen als Abweichung von der zivilen Norm detailliert zu erfahren, geht es hier um etwas ganz anderes. Im letzten Zehntel des Buches auf der Reise durch Frankreich nach der Entlassung aus den Militätdiensten in Spanien gibt es eine muntere Beschreibung über die Franzosen bzw. über deren kultivierte Lebens- und Essensgewohnheiten zu Napoleons Zeiten:
„Mittags aß man „gewöhnlich“ zwischen ein und zwei Uhr, und wir bekamen zuerst eine Fleischbrühe mit Wurzelwerk, Porree, Zwiebeln und dergl. (Potage à la Juliette), dann Rindfleisch mit Senf und Gemüse (Trikot, ein aus Kartoffeln, Rüben oder anderem Gemüse bestehendes Frikassee), hernach Ragouts oder Braten, zuweilen auch wohl Geflügel, das überhaupt in Frankreich häufig verspeist wird…“
Und da sage mal einer: In Kriegszeiten, in Frankreich, als Söldner im fremden Land, unter dem Kaiser der Franzosen lebte es sich anscheinend köstlich und sogar gesund. Und munter. Oder, wie das Sprichwort sagt: Wie Gott in Frankreich. Eben.
Wer dagegen die damalige und teilweise auch heutige Kost der „wilden Germanen“ östlich des Rheins beobachtet, schüttelt den Kopf, weil ihm endlich was für heute einleuchtet:
Hier in Deutschland werden einkaufende Handlungsweisen nach dem auch für Lebensmittel geltenden Motto betrachtet: „Geiz ist geil“ und „Hauptsache billig“. Aber das schmucke Auto darf ein sehr teueres sein…
Deshalb wohl gibt es in Deutschland Käuferscharen bei Aldi, Lidl, Netto und anderen, nicht gerade gourmethaften Lieferertempeln für die vermutlich sehr unterentwickelte deutsche Küche. Da passt diese Volksweisheit: In Frankreich fährt der Mensch mit klapperigem Gefährt zu einem Sternerestaurant. Der Deutsche jedoch benutzt seine Nobellimousine für die Fahrt zu einer "günstigen" Fütterungskantine.

Wir in Burgwedel können uns glücklich schätzen. Denn hier gibt es anspruchsvolle Verbraucher und bekanntlich sogar einen Küchenchef mit Michelin-Gourmet-Stern. Wow.
Wessen Lebensphilosophie muss sich nun ändern?
Montag, 30. April 2012
© Karl Wilhelm Goebel

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