Mittwoch, 18. April 2012
German Angst vor dem Wulff-Effekt
Es ist beinahe wie nach einer Schlacht:
Tote, Verletzte, Betroffene. Jetzt fällt auf: Zerstörte Kulturgewohnheiten...
Lateralschäden beim Bundespräsidenten: Betroffen sind die ungeschützte Frau und wehrlose Kinder. Wenigstens für die sollte die schandmäulige Presse Moral beweisen.
Zwar reiben sich heute nicht die Feldmarschälle die Bäuche zufrieden, weil sie so viel Beute gemacht haben. Es sind die Redaktionen, die Drucker, die Verlage, überhaupt die Medien, die von dem „Zug zur Gerechtigkeit“ unter dem Namen Causa Wulff bares Geld generierten. Durch erhöhte Auflagen, zum Beispiel.
Das „Halali“ ist geblasen. Die analytischen Marketing-Experten in einer Fachzeitung (W & V, Ausgabe 11, S.17 ) ziehen eine denkwürdige Bilanz:
Deutsche Unternehmer, bisher gerne in der Nähe zur hohen Politik und deswegen schon mal bereit, diese oder jene Veranstaltung zu sponsern, bekommen „kalte Füße“. Deutsche-Bahn-Chef Rüdiger Grube erklärte Anfang März in Leipzig, dass sie sich aus dem „politischen Sponsoring“ völlig zurückziehen. Laut dem „Sponsoringbericht des BMI über Leistungen an die Bundesverwaltung“ flossen 2009 und 2010 immerhin 93,4 Millionen Euro insgesamt in das System für die Unterstützung von Ministerien und Behörden.
Aber nicht nur die Deutsche Bahn verabschiedet sich. Auch Philips, Daimler, Deichmann und die Telekom werden sich zum Beispiel an den Kosten für das Sommerfest des Bundespräsidenten nicht mehr beteiligen.
Die Zukunft wird zeigen, was unser Land, unsere Demokratie, unsere Moral, unsere Freiheit wirklich gewonnen haben, oder ob das ganze System zum Opfer eines oder mehrerer Journalisten wurde, die investigative Recherche irgendwie falsch verstanden hatten.
Als verbissene Hatz auf ein Wild, das sich eigentlich nicht eignete: Was ist heute die journalistische Trophäe? Wurde Deutschland besser?
Mittwoch, 18. April 2012
© Karl Wilhelm Goebel

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Moral ist nicht teilbar
Journalisten-Schelte ist zwar beliebt, ist aber zu kurz gegriffen. Hier hat es keinen Unschuldigen getroffen und die Macht eines oder mehrerer Journalisten wird stark überschätzt. Die Macht einer bestimmten Presse allerdings, der "Bild", die doch im Volk so sehr beliebt ist, war immer bedenklich und ist es noch. Aber nur die `68er wollten Springer an den Kragen. Das ist lange her und seitdem wird akzeptiert was geschmiert wird. Und wenn dann so etwas passiert wie mit Wulff, meint KW die große Wumme rausholen zu müssen und per Rundschlag auf die Journalisten einschlagen zu müssen.

Von Scheinheiligen Biedermännern.
Allen Ereignissen in der Welt zum Trotz, ergingen sich unsere politische Klasse und die Medien in eitlen Balzritualen und Empörungsexerzitien in einem Fall, der an Trivialität und Biederkeit fast nicht mehr zu überbieten ist.

Letztlich ging es doch um Ungeschicklichkeiten einer in der Sache überforderten Figur, hinter die man moralische Fragezeichen setzen konnte. Persönliche Schwächen und fehlendes Fingerspitzengefühl des Bundespräsidenten mochten stören, aber die Maßstäbe der Reinlichkeit und der politischen Tugend, die man an den bedrängten Amtsinhaber anlegte, hatten bald nichts mehr mit den Verhaltensnormen zu tun, die sich die deutsche Real-Gesellschaft selbst gewährte. So meinte auch Joseph Fischer, dass er diesen Ansprüchen sicherlich nicht gewachsen wäre und niemals Bundespräsident werden könne. Die Frage wäre, ob das jemand wollen würde, aber das ist eine andere Geschichte.

Da fragt sich höchstens, ob das Amt des Staatsoberhaupts wirklich durch den Inhaber Schaden genommen hat oder nicht eher durch jene, welche ihm eine Vorbildfunktion andichteten, die es nie gehabt hat. Oder natürlich durch jene, die gar nicht Wulff beschädigen wollten, sondern dessen Mentorin, die Bundeskanzlerin höchstselbst. Interessanterweise war keiner der Heuchler bereit, dies zuzugeben. Ihr taktisches Schweigen hatte nichts mit Anstand zu tun.

Wer dieses Getöse und Gezeter nun monatelang zu ertragen hatte, kann nur sagen: Gott erbarm Dich unser und lass uns gründlich darüber nachdenken, was wir der Welt für ein Schmierenstück geliefert haben. Christian Wulff, der ungelenke und glücklose Bundespräsident, ist zur Strecke gebracht worden. Damit kann man leben.

Es überrascht nicht, dass die wirklich großen Affären in der deutschen Nachkriegsgeschichte heute kein Gegenstand der Erörterungen mehr sind. Bloß schnell weg, bloß keine Lehren daraus ziehen. All die Amigo-Betrügereien in Bayern, die Parteispenden-Millionenskandale, die Fahrten und Flüge und tausend andern Gefälligkeiten, die – wenn man dieselben ethischen Standards angewendet hätte – zur Entlassung der halben politischen Elite hätte führen müssten.

Und vielleicht könnten jetzt die Moralbuddhas der Medien nach geschlagener Schlacht auch einmal mit ähnlichem Drang darlegen, wie sie sich selbst vom Lockstoff all der Verlockungen und Verführungen betören lassen, denen sie als Journalisten nur allzu oft unterliegen – von Einladungen der tollsten Sorte, Reisen und Rabatten in einem Ausmaß, das bei fast allen andern Erwerbszweigen die Schamröte hochtriebe. Wer derart exponiert im Glashaus der Tugend sitzt, sollte sehr vorsichtig mit Anschuldigungen umgehen. Eigenartig, wie viele Augen da plötzlich blind sind.

Der Fall Wulff ist ein unrühmliches Kapitel politischer und medialer Auseinandersetzung. Es zeigt, dass Politiker, die sich allzu sehr mit einer Presse wie „Bild“ einlassen und vielleicht der Meinung sind, sich Sonderbehandlungen verdient zu haben, falsch liegen. Wer die Nähe zu Bestien sucht, darf sich nicht wundern gefressen zu werden.

Bei aller zulässigen und berechtigten Kritik ist auch festzustellen, dass die vierte Macht im Staat trefflich funktioniert. Unsere Medien mögen zu intellektueller Massenflucht, zu Tabuisierungen, schwadronierendem Moralisieren und verkaufsfördernder Pseudohysterie neigen – unter Druck leisten sie ganze Arbeit und sind erfreulich unbestechlich. Von demokratieschädigender Eliten-Kungelei gibt es hier ebenso wenig zu berichten wie im Falle Guttenberg.
Johann I

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Neuer Reiniger "Politikermoral"
Lieber Johann I., Dein Kommentar spiegelt in trefflicher Genauigkeit das Umfeld der Hatz und lässt erfreulich den Hinweis auf die historischen "Vorläufer" nicht aus.
Nun haben gewisse Medien so gründlich "demokratiegereinigt", dass man meinen könnnte, selbst die Straße, in der die Wulffs wohnen, sei für immer mit beißendem Geruch so antiseptisch, neutral, unpersönlich, "clean", dass der Grundsatz übersehen werden könnte:
Es sind alles nur Menschen.
Und sie gehören zu unserer Stadt nach wie vor. Sie sind hier herzlich willkommen, vermute ich.
Mein kleiner Betrag sollte vor allem auf die Spät- und "Nebenwirkungen" hinweisen, die sich u. a. bereits so abzeichnen:
Künftig gilt vielleicht wirklich der allgemeine Rat, die Nähe zu Politikern tunlichst zu meiden, weil sie als ehrenrührige Bemühung von Bürgern/Wählern/Unternernehmern/ Lobbyisten verstanden werden muss. Siehe dazu die Sofortreaktionen der erwähnten, nicht "unnamhaften" Großunternehmen.
Karl Wilhelm Goebel

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