Samstag, 27. Juli 2013
Seit kurzem: Relationen und unverdauliche, geistige Kost
Unser Leben begleitet Erstaunen. Als Kinder sehen wir uns um und erkunden. Erwachsene entdecken auch, wie Kinder schnell bemerken. Bestimmte Erwachsene bringen es gar zum professionellen Entdecker. Die erhalten Beinamen, welche sie rühmen. Jeder Mensch findet eines Tages, dass die Erde, fälschlich Welt genannt, verdammt groß ist, wenn er erst nach längerer Reise die Nordsee erlebt oder gar schon mal auf Mallorca war. Oder Amerika. Das soll ja unvorstellbar weit sein. Das mutmaßten zunächst und erlebten dann in großen Zahlen selbst vor Jahrhunderten die europäischen Auswanderer. Sie schiffsreisten lange und erbärmlich.

Eines Tages kam der nahe Mond in den Fokus. Ihn kannte man schon, vom Sehen. Jetzt galt es, Näheres zu entdecken. Doch es blieb zunächst nur bei einem bedeutenden Schritt für die Menschheit.

Seither hatte nicht mehr die andere Seite der Erdkugel die höchste Aufmerksamkeit, sondern das Zeitalter fand ganz unerwartet im „Weltraum“ statt. Fortschritt überall, neue Dimensionen.

Bis vor ein paar Tagen, als die NASA von einer vor 15 Jahren gestarteten Kamera ein Foto aus 1.400.000.000 km Entfernung mit einem Abbild unserer Erde hierher übertrug, das in Saturnnähe unter dessen scharf abgebildeten Ringen aufgenommen wurde. Was war darauf zu sehen? Unsere Erde natürlich.

Doch eine Überraschung bahnte sich für die ganze Bevölkerung des Planeten Erde an: Nicht der strahlende, blaue Planet war zu sehen, sondern ein winziger, heller Punkt, gerade einmal in - sagen wir - Stecknadelkopfgröße. Ein Schock.
Allein diese unglaubliche Entfernung, die der moderne Betrachter erahnen kann. Science fiction ade?

Über die riesige Entfernung nur sonst „nichts“. Irgendwo dieser einsame kleine Punkt Erde, neben ihm, wie ein noch kleinerer Kumpel, der Mond. Und auf der Erde Milliarden winkende Ureinwohner...

Beide Himmelskörper sind uns durch die Fotografie vertraut. Wir haben von Erde und Mond ein Bild für uns erzeugt.. Doch was ist, wenn die ganze Erde, die zwei Drittel Ozeane, das eine Drittel Erdoberfläche, mehr als sechs Milliarden Menschen, alle Lebewesen, überhaupt alles, aus der Ferne alles zusammen so bedeutungslos ist, weniger als ein Staubkörnchen?
Die Weisheit des Philosophen, „ich weiß dass ich nichts weiß...“ ist da aber ein äußerst schwaches Mitverständnis.
Was ist mit Gott, was mit Religion, was mit Geschichte, was mit Weltbild? Wie lächerlich ist eine Bildung von Wesen, die, aus der Ferne betrachtet, es nicht einmal mit einem „Atom“ aufzunehmen vermöchten? Was wissen diese Miniminiminiminizwerge von Menschen überhaupt von der Welt, vom Universum, von der Zeit, von dem Raum? Warum und mit welcher wahnsinnigen Hoffnung suchen sie im Weltraum nach Konstruktionsdubletten? Wer glaubt noch an "Kronen der Schöpfung"?

Wir sind im Weltraum, den Anschein hat es, so klein, wie submolekulare Strukturen es für uns heute zu sein scheinen. Das muss man erst einmal „sacken“ lassen und dann ordinär verdauen. Heilige Schöpfung...
Ersten Trost, ja, Trost, suche ich bei Heidegger in „Der Ursprung des Kunstwerkes“, denn ich ahne, unsere Kulturgebäude, unsere Erkenntnisse sind teilweise wilde Fiktionen.
Das menschenzentristische Weltbild mit einem bedeutenden Schöpfer dieser Erde darüber im Glanz der Sonne, im – vor dem neuen Background - lächerlich unbedeutendem - Vatikangebäude zu besichtigen, nein, so war es wirklich nicht.
Aber wie dann?
Unter „Das Ding und das Werk“ gelange ich assoziativ zu dem Bild einer Erdenkugel als (nur noch) ein (klitzekleines) Ding. Eigentlich ist es unfair und von daher unerlaubt, aber Heidegger fordert seine Leser auf, das „Dinghafte des Dinges“ zu erfahren. Und später sagt er „Der Mensch ist kein Ding“, doch das Bild von der winzigkleinen Erde wehrt sich, nach den „eigentlichen Dingen“ zu unterscheiden. Die Aussagen aus seinem Vortrag von 1935 scheinen nicht einmal achtzig Jahre später Trash oder zumindest nachdenkenswert, denn in unserer Vorstellungswelt über das, was wohl die ganze Wahrheit ist, hat sich seit Mitte Juli 2013, als dieses Foto um die Welt ging, so tief greifend und grundlegend Bedeutendes verändert, wie das nur bei seltenen Zäsuren der Fall war.
Es ist gewaltig. Ich bin und bleibe ratlos. Ob die Philosophen aus der Schule des Strukturalismus oder des "Neuen Realismus" überzeugende Ein- und Aussichten finden?
Denn, wir, die Menschen, sind offenbar banale Marginalien auf einer nur sehr, sehr, winzigen Erde. Wir rufen nach Gott, aber der hört unsere Piepsstimmen naturgesetzlich weder gestern, heute, noch morgen. Selbst wenn mit ihr ein Pavarotti singt.
Carpe diem?
Samstag, 27. Juli 2013
© Karl Wilhelm Goebel

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