Freitag, 22. Februar 2013
Anzugträger – Erfahrungen. Erzähl mal.
Wer gelegentlich auf Pro Sieben in eine Folge der Sendung "How I Met Your Mother" hinein zappt, muss zunächst die Fiktion durchschauen:

Ein in den Siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts geborener Erzähler spricht im Jahre 2030 für seine Kinder von früher, von damals also. Die Elterngeneration der Erzähler, zu der sich auch der Autor rechnet, machte persönliche Erfahrungen jedoch eine Generation früher:

Damals waren alle Männer mehr oder weniger so konfektionsgekleidet, wie die TV - Serienfigur des schlitzohrigen Anzugträgers Barney Stinson. Oder, bei uns heute noch im realen Fernsehleben, der vorgestrige, zwangsgewitzte, altkluge Moderator Kai Pflaume.

Wir trugen zu allen möglichen Anlässen Sakko und Hose oder einen stoffeinheitlichen Anzug mit Oberhemd und Krawatte, seltener mit Schleife und das alles nach der Mode, die das damalige Modezentrum London dem Europäer vorgab.

Bestenfalls variierte die Kragenart am Oberhemd von „Kent“- Kragen zum „Windsor“- Modell und seltener, weil – gewagt – sogar zu einem „Haifisch- Kragen. Immer blieben die Kreationen der Modeschöpfer, so hießen die Designer früher, in unauffälligen Stoffmustervarianten. Dazu war eine Krawatte obligatorisch, die Farben glänzten nur dezent, die Muster waren klein und bescheiden, während die Vertikale im männlichen Textilschmuck (Krawatte) um Zentimeter tollkühn breiter oder je nach Modediktat wieder waghalsig schmaler werden konnte.
Ich trug damals, in jungen Jahren also, die Konfektionsgröße 52, besaß neben Hemden und Krawatten einige für uns teure Sakkos, passende Hosen und hin und wieder auch einen Herrenanzug, der eine kleine Investition bedeutet hatte. Mussten wir nach einer geraumen Gebrauchszeit erneut zu einem „Textilfachgeschäft für Herrenoberbekleidung“, dann wurden wir wieder vermessen. Es war die Aufgabe des Verkäufers, uns kompromissgewohnte Kunden in die selten passenden Konfektionsgrößen hineinzureden und das durch geschickte Spiegelungen glaubhaft zu machen. Irgendwann brauchte ich zum Beispiel nach Meinung des Fachmannes Größe 54 für das Sakko. Diese Größe war aber nicht für eine Hose erforderlich, so dass nach professionellem Rat die Hilfe des hauseigenen „Änderungsdienstes“ in Anspruch genommen wurde. Die zu große Hose erhielt geschickt platzierte „Abnäher“. Und schon zeigte jeder Kunde in solchen Fällen ein zufriedenes Gesicht. Dafür zahlte er einen nicht besonders großen Aufpreis.
Ich machte nebenbei Konfektionskarriere, als nach Jahren die Ausrede, die Hersteller arbeiteten stoffsparend gerne kleiner, nicht mehr vertretbar klang, deshalb bei der Größe 56 für das Sakko landete und die Hose dagegen in Größe 54 weiterhin völlig ausreichte. Guter Rat war nur ein einziges Mal teuer, denn die Lösung bestand nun in einem Sakko der Größe 56 und dazu einer Hose in Größe 54. Man nannte das eine „Kombination“. Allerdings gab es von da an für meine Problemfigur keine einheitlichen Anzüge mehr, was in der Umwelt kaum auffiel.
Nicht genug. Der „Wohlstand“ und die Bewegungsarmut – man war ja ein „Autobesitzer“ geworden und ein eifriger Autonutzer – führten zu neuen Umsätzen in der Textilbranche. Nun wiederholte sich pro Saison das Spiel mit Sakko 58 und Hose 56. Bis dann eines Tages der Verkäufer zu einer noch größeren „Kombination“ raten wollte...
Ich riss das Ruder mutig und Gott sei Dank wirksam herum:
Nahrungszufuhr reduzieren, viel Sport treiben und siehe da: Inzwischen hat sich die Männerkleidung ohnehin radikal verändert. Wenn es noch "Herrenkleidung" (HaKa) gäbe, könnte ich heute erleichtert in der Abteilung für Normalgewichte das Passende sogar alleine finden und müsste nicht bei "Bunge, Bunge", den es früher in der Lister Meile für alle jene gab, die sich in die wenigen Konfektionsgrößen aus den Anfängen der Industriealisierung von Kleidung, auch mit heftiger, verbaler Verkäufermühe nicht so richtig "über den Tisch" ziehen lassen wollten...
Wie sich die Verhältnisse doch gänzlich ändern, wenn man(n) nur will... Oder?
Freitag, 22. Februar 2013
© Karl Wilhelm Goebel

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