Dienstag, 26. Juni 2012
Diverse Verkehre in einer Stadt
Großburgwedel als ein Beispiel…
und anregende Aufregung?

Für Alle wird dringend, dass wir im ganzen Land endlich unter „Verkehr“ nicht nur die temporeichen Fortbewegungen mit einem treibstoffbetriebenen Fahrzeug verstehen.
Die Lobbyarbeit des ADAC hat den deutschen Bürgern diese Sicht seit Jahrzehnten weisgemacht. Deswegen wirken alle unsere Städte mehr oder weniger wie Funktionen der Autos: Was jenseits der möglichst rollfreundlichen Straßenbeläge stattfindet ist sekundär…Hauptsache ein Fahrer mit seinen 4 – 5 Platzangeboten in einem illegitimen Nachkommen der Pferdekutsche schwebt ruckelfrei über asphaltierte, autogerechte, Straßen ins Büro, zur Arbeit, zum Nachbarn oder zu irgendwelchen Geschäften. Natürlich ist sein Automobil tüvgeprüft, motorkräftig, benzingefüttert, ordentlich bereift und möglichst nicht älter als 2 Kalenderjahre. Der Fahrer fährt. Und fährt. Und fährt.
Nur selten geht er gesund mal zu Fuß…
Aus diesem massenhaften Verhalten entstehen vorgezeichnete Problemstrecken: Vom eigenen Parkplatz zum Büro oder zu dem Parkplatz in der Nähe eines Geschäftes und vice versa.
Straßen und vor allem Plätze sind aber eigentlich mehr als „Bahnen für Autos“!

Parallel und isoliert geplant und eigenartig selbstverständlich existieren heute tatsächlich allerlei Verkehre unabgestimmt nebeneinander, überschneiden sich Nutzungen, oftmals wenig verträglich.

Beispiel: Alter Marktplatz Großburgwedel:
• Freier PKW- und LKW – Durchgangsverkehr auf Asphalt - Fahrbahnen (50 km/h)
• Motorräder und Mopeds, ein wenig unterprivilegiert (?) dazwischen/daneben,
• Fahrräder auf Fußwegen, kreuz und quer auf der funktionslosen Großfläche, die von Bordsteinen umrahmt ist und wohl eine Art von „Garten“ für schöne alte Bäume bilden soll.
• Ein Kirchplatz, begrünt, erhaben über dem Fußgängerniveau, umgibt die zurückgesetzt stehende romanische Kirche mit gotischen Einflüssen in einer Art von „Horstlage“.
• Fußgänger werden Kirchhofgänger oder umgekehrt , sie überwinden das Gefälle von ca. zwei Meter Höhenunterschied,
• Hochzeitsgesellschaften parken im näheren Umfeld. Sie nutzen zu Fuß die Gehwege und - bereiche vor der Kirche,
• Vor der Schule findet sich eine disproportional große Gehwegfläche, mittig durch behindernde Verkehrspfosten aus mächtigem Beton geteilt.
• Kinder werden zur Schule gebracht, und später (meistens) abgeholt,
• mit PKWs, die irgendwo kurzzeitparken.
• Kleinkinder sollen in den Kindergarten, der versteckt im Kirchpark liegt. Die werden alle gebracht, von den Eltern mit, und nun raten Sie mal. Womit?
• Größere Kinder nutzen einen (erforderlichen) Fußgängerüberweg, kreuzen dann Radfahrer
• Auf der Rückseite der Sparkasse gibt es einen (notwendigen?) Ausgang, aus dem ab und zu und plötzlich, hastige Menschen herauskommen und den Meter auffällig gepflasterten Fußweg allerdings dann doch nur schlicht überqueren…
• Zwischen FORTMÜLLER und historisch augenfällig, schön restauriert: „MARKTKIEKER“ mündet in die dortige Einbahnstraße ein privat anmutender Weg auf Bordsteinniveau aus dem Nirgendwo mit dem Hinweis, dass der aus dem Hintergrund kommende Nutzer rechts abbiegen möge, weil…
• Links von dort , – erhöhte Bordsteine für eine Omnibus-Haltestelle.
• Passanten bummeln nicht, sie eilen voll Sehnsucht zu ferneren (ästhetischeren?) Zielen.

Wer diese relativ kleine Stadtfläche nachdenklich betrachtet, entdeckt ein nicht nachvollziehbares, unkoordiniertes Nebeneinander verschiedener Nutzer, ergänzt um heilige Parkplätze zum Abstellen des „Blechle“. Die Menschen fühlen sich eigentlich nicht ganz wohl – und das ist typisch –, weil keiner glauben kann, dass diese Regelungen wirklich für ihn geschaffen sein sollen.

Bedeutsame Orientierungen, wie in Deutschlands Kleinstädten sonst üblich durch eine deutlich wahrnehmbare, meisten sehr zentrale Kirche oder ein historisches und allein dadurch imponierendes Rathaus, fehlen im Stadtbild - historisch bedingt - gänzlich.
Demgegenüber haben manche Innenstädte eine starke Magnetwirkung erreicht. (Siehe Prof. Dr. Franz Pesch, Uni Stuttgart, in Lebensraumn Stadt: Chancen und Reurbanisierung in "Die Attraktivität großer Städte", Bonn 2012)
Davon ist Burgwedel auch im zentralen Ortsteil Großburgwedel wegen diverser Versäumnisse weit entfernt. Hier herrschen dörfliche, fast lineare Nachfolgestrukturen und der Einzelhandel blüht mehr oder weniger in seinen Streulagen. Mit einer mittelzentralen Funktion hat das alles wenig zu tun.

Ausweg?

Wie auch immer die in Auftrag gegebene Expertise und dann zu diskutierende Stadtplaner- / Architektenstudie ausfällt:
Großburgwedel kann gewinnen, wenn zunächst dieser zentrale Punkt (Alter Markt) von Fachleuten mit Respekt vor alter Bausubstanz, mit gebührender Achtung vor der Würde alter Bäume, aber auch für die Erwartung an ein Stadtzentrum, der Nutzung durch Einwohner und Fremde, nicht nur per Automobil, entwickelt wird. Kinder, Behinderte, Müßiggänger, alte Leute und Ortsfremde wollen ebenfalls Verkehrsteilnehmer sein.
Der Alte Markt könnte künftig vielleicht eine markante Prägung ausstrahlen und, wie ein Logo, charakteristisch, erinnerungsfähig und ökologisch sympathisch sein. Schon heute ist der „Marktkieker“ ein hoch merkfähiges Symbol. Und der „Kokenhof“ im Westen ebenfalls...

Merke:
Das Auto wurde nicht erfunden, damit dieses sich das Land „untertan“ macht.

So denkt aktuell wahrscheinlich nicht einmal mehr der ADAC.

Denn PKWs stehen nur für eine bestimmte Art von Fortbewegung. Und deren Bedeutung darf ruhig erkennbar geringer werden.

Wohnqualität kann besonders gut sein, wenn die Durchfahrtqualität miserabel ist.

Was wollen wir, das Volk?


Dienstag, 26. Juni 2012
© Karl Wilhelm Goebel

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